Wirtschaften für Menschen

In einer Zeitung entdeckte ich die Überschrift: "Kann ein Unternehmen göttlich sein?" Die Frage stellt der Autor im Zusammenhang mit der Diskussion um Fragen der Ethik in der Wirtschaft. Die Frage erscheint mir absurd, doch lässt sich an ihr das Kernproblem herausarbeiten. Wäre ein Unternehmen göttlich, dann würden dort paradiesische Zustände herrschen. Aber der Mensch hätte mit dem Zustandekommen wie auch der Gestaltung des Unternehmens nichts zu tun.

Unternehmen sind jedoch Menschenwerk. Sie existieren auf der Erde und bringen hier Produkte und Dienstleistungen hervor. Soll ein Unternehmen deshalb "menschlich" sein? Und was heißt an dieser Stelle "menschlich"? Gemeinhin charakterisieren wir mit der Formulierung "das ist ja nur menschlich" ein Verhalten, das eher menschlicher Schwäche entspringt, und die Worte werden entschuldigend für kleine Fehler genutzt.

 

Info

Vor 30.000 Jahren bedeutete Wirtschaften für den Menschen, ausschließlich für sich und seine Familie für das Lebensnotwendige zu sorgen. In den berühmten Höhlenmalereien von Lascaux in der französischen Ardéche ist zu bewundern, wie stark das Bedürfnis des Menschen damals schon war, das Erlebte des Tages, in vielen Fällen die Jagd, darzustellen. Unser Bild zeigt eine Szene aus der Grotte Chauvet bei Vallon, ebenfalls in der Ardéche gelegen. Wer einmal in Frankreichs Süden unterwegs ist, sollte sich diese beeindruckenden Zeugnisse unserer Vorfahren nicht entgehen lassen.

Begreifen wir den Menschen nicht nur als jeman­den, der fehlen kann, sondern sehen ihn als fähig, sein Leben selbstverantwortlich zu gestalten, dann stellt sich sofort die Frage, wie diese Art Menschlichkeit mit der Wirtschaft zusammenpasst. Landauf, landab vermitteln uns die Medien und Politiker, dass die zentrale Aufgabe der Wirtschaft das Erzielen von Gewinn ist und dass alle Aktivitäten diesem Ziel unterzuordnen sind. Die großen Kapitalgesellschaften begründen ihren streng profitorientierten Kurs mit der angeblichen Notwendigkeit hoher Aktienkurse. Oft genug ist der Aktieninhaber aber ein Kleinaktionär, dessen Arbeitsplatz dann infolge einer entsprechenden Rationalisierungsmaßnahme entfällt. Dass dieses Verhalten der Wirtschaft nicht "menschlich" ist oder von den Menschen als nicht gerecht und sozial erlebt wird, konnten wir in den vergangenen Monaten angesichts der Diskussionen über Betriebsschließungen und Entlassungen deutlich erleben.

Gleichwohl reißt die Diskussion um ethische Nor­men in der Wirtschaft nicht ab. Immer neue Kon­zepte zur sogenannten Com­pli­ance werden entwickelt, um sicherzustellen, dass die Einzelnen sich ethisch korrekt verhalten. Die Erfahrungen der Ver­gan­gen­­heit zeigen jedoch, dass eine Wirtschaft, deren Zielsetzung primär wirtschaftlicher Natur, ist nämlich Gewinnmaximie­rung, niemals grundsätzlich menschliche Züge annehmen kann. Dies ist nur möglich, wenn wir der Wirtschaft einen Sinn geben. Bei der Suche danach stoßen wir auf das Phänomen der modernen Wirtschaft, die arbeitsteilig organisiert und damit konsequent nicht egoistisch konzipiert ist. Wir produzieren mit­einander in Arbeitsgemeinschaften in der Wertschöpfungskette Produkte und Dienste, und zwar immer für andere. Diese anderen am Ende der Kette sind immer die Kunden, das heißt die Verbraucher. Verfolgen wir die Wertschöpfungskette vom Ursprung zurück bis zum Ende, so entdecken wir, dass das Wirtschaften letztlich für die Menschen da ist, nicht umgekehrt. Sinn und Zweck der Wirtschaft ist das Bereitstellen von Gütern, die dem Menschen zur Verwirklichung seiner Freiheit dienen. Diese Sinngebung ist eine Bestimmung, die sich nicht aus wirtschaftlichen Kategorien ableiten lässt. Vielmehr entstammt sie der Einsicht. Im gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang ist die Sinnstiftung der Wirtschaft eine Kulturleis­tung des Men­schen.

Wenn der Mensch im Mittelpunkt all unserer Bemühungen steht, geht es bei der Gestaltung der Produkte und Dienste um die Frage: Wie gelingt es, den Produkten eine besondere Qualität zu geben? Diese Qualität geht über das hinaus, was die Natur uns schenkt, und sie kann auch nur vom Menschen erdacht und erbracht werden. Goethe weist auf den Zusammenhang hin, indem er formuliert: "Das Was bedenke, mehr bedenke wie." In der Art, wie wir die Produkte herstellen, wie wir zusammenarbeiten, wie wir miteinander umgehen, können wir mehr zum Ausdruck brin­gen, als das wirtschaftliche Zusammenhänge für sich tun. Natursubstanzen in diesem Sinne zu verwandeln, ist eine Aufgabe der Ästhetik. Die Erde stellt dem Menschen die Güter und Dienste zur Verfügung, die ihm seine Existenz ermöglichen. In der Verwandlung und Bearbeitung der Natursubstanzen entwickelt der Mensch seine Fähigkeiten und verleiht dem Stoff eine besondere Form. Diese Form ist Ausdruck der menschlichen Kreativität und sein einzigartiges Vermögen. Unternehmen können nicht göttlich sein, aber sie können die Züge einer neuen Menschlichkeit zeigen, wenn ihre geistige Grundlage ein universelles Menschenbild ist.

Der Mensch - das ist meine tiefe Überzeugung - ist nicht nur ein bedürftiges Leibeswesen, sondern vor allem auch ein Gedankenwesen.

Autor: Prof. Dr. Götz E. Rehn
Gründer und Geschäftsführer von Alnatura